Lehr-Engagement an der Lviv Polytechnic National University (LPNU) in der Ukraine im WiSe 2023/24
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Der Kurs "International Project Management" als Online-Unterricht
Im Oktober 2023 wurde ich von der Lviv Polytechnic National University und dem "Institute of Civil Engineering and Building Systems" abermals damit beauftragt, einen Kurs zum Thema "International Project Management" anzubieten. Der Schwerpunkt dieses Kurses liegt auf dem Infrastrukturbau, weil seit über einem Jahr Russland die (kritische) Infrastruktur der Ukraine angreift und zerstört. Es bedarf also gut ausgebildeter Ingenieure, die sich mit den Besonderheiten internationaler Großprojekten aus dem Bereich des Infrastrukturbaus auskennen. Da dies mein berufliches Spezialgebiet ist, biete ich einen solchen Kurs doch sehr gerne an.
Nach ersten Erfahrungen, die ich im vorangegangenen Kurs im März 2023 sammeln konnte, wird der Kurs von mir umgestaltet und besser an die Bedürfnisse der Studenten der LPNU angepasst. Das Wort "International" bekommt im WiSe 2023/24 zudem eine neue Dimension, denn es nimmt auch eine deutsche Studentin am Online-Kurs teil, was mich außerordentlich freut. So hören ukrainische und deutsche Studierende zusammen einen Kurs zum Thema, wie man internationale (Groß-)Projekte in der Ukraine anzugehen und abzuwickeln hat. Für mich wiederum ist dies ein Ehrenamt, mit dem ich der Ukraine beim Wiederaufbau und meinen Freunden Prof. Khmil, Pavlo und Oksana (Dekanin) helfen möchte. Â
Die Einführungsveranstaltung fand am 25.10.2023 statt. Von meinem Arbeitszimmer in Rüdesheim aus habe ich ca. 2,5 Stunden ca. 16 Studenten in Lviv unterrichtet und eine Einführung zum Thema "International Project Management" gegeben. Ein schwarzes "Zoom-Fenster" eines Zuhörers heißt in der Ukraine nun allerdings nicht, dass nur eine Person daran teilnimmt. Ukrainische Studenten machen aus einem Online-Kurs gerne auch ein Gruppen-Event und sitzen zu zweit oder sogar zu dritt zusammen und hören dem Kurs zu. |
Wenn die Studenten in der Online-Lehre ihre Kameras allerdings ausgeschaltet haben, ist es für die Lehrkraft äußerst schwierig zu erkennen, ob man das Interesse der Studenten gefunden hat (oder nicht). Anders ausgedrückt: Wenn keine Gesichter sichtbar sind → sind keine Emotionen erkennbar → ist kein Rückschluss auf das Interesse der Zuhörer möglich → erfolgt keine Adaption durch die Lehrkraft. Da hilft dann nur zu fragen oder die Bitte um Feedback.
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Wie man sieht, sparen die ukrainischen Studenten beim Online-Unterricht zwar mit der Kamera-Präsenz, aber dafür nicht beim Feedback zum Kurs. Danke für das tolle Feedback, das mich sehr gefreut hat!
Der Online-Kurs vom 08.11.2023 sah vor, reale Bauprobleme internationaler Bauprojekte mit einfachen Mitteln (z.B. einem Excel-Tool) schnell und präzise zu lösen. Nicht jedes Problem im Bauwesen bedarf gleich einer 3D-Lösung und häufig reicht ein (professionelles) Excel-Tool vollkommen aus. Zwar fehlt es den Studenten an Kenntnissen zur Gestaltung von Excel-Tools bzw. Excel-Spreadsheets, aber die Auffassungsgabe der ukrainischen Studenten ist hoch. Und wie man an den Kommentaren sieht, macht es den Studenten Spaß, bestehende Wissens- und Skill-Lücken zu schließen. Mich freut das.
Einen solchen Online-Kurs für ukrainische Studenten vorzubereiten, ist allerdings sehr arbeitsaufwendig. Zunächst ist eine Übungsidee zu entwickeln. Wenn die Idee zur Übung steht, bedarf es eines Skriptes mit etwas Theorie, einer Excel-Vorlage für die Studenten, einer Excel-Musterlösung, verschiedener Zeichenelemente, evtl. bedarf es auch einer detaillierten Anleitung zum vollständigen Nachvollziehen der Übung ... Alles muss zudem in einfacher englischer Sprache gehalten werden. Der Kurs spricht auch aktuelle Probleme an, wie die Korruptionsprobleme innerhalb der Ukraine, die auch seitens der EU-Kommission in den Medien angemahnt werden. Ich erkläre den Studenten, zu welch großen Nachteilen die Korruption in der ukrainischen Wirtschaft führt.
Feedback Kursteilnehmer vom 08.11.2023 | |
Feedback Kursteilnehmer vom 09.11.2023 | |
Meine Anreise für die Präsenzlehre an der LPNU
Nachdem ich die Kosten für mein Lehr-Engagement in der Ukraine zwischen Januar 2023 und November 2023 bisher selbst getragen habe, wird die Präsenzlehre an der LPNU im Dezember 2023 von der Jakob Wilhelm Mengler-Stiftung gesponsert. Ohne dieses Sponsoring wäre dieses Engagement nicht mehr möglich.Â
Da der Luftraum über der Ukraine immer noch vollständig gesperrt ist, ist die Anreise weiterhin nur mit dem Zug möglich. Von Frankfurt geht es mit dem ICE zunächst nach Wien (je nach "Tages-Performance" der DB beträgt die Fahrtzeit ca. 7 - 9 Stunden) und von Wien dann in einem speziellen Nachtzug der ukrainischen Bahn weiter nach Lviv (ca. 18 Stunden). Die Grenze zwischen Ungarn und der Ukraine wird nachts erreicht. An der Grenze bei Zahony und Tschob erfolgen Passkontrollen und der Umbau des Waggons auf die Spurweite der ukrainischen Eisenbahn, was ca. 4 Stunden dauert. Zudem wid der Waggon von Zöllnern komplett durchsucht.
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Anreise über Wien und Fahrt mit dem Nachtzug der ukrainischen Eisenbahn nach Lviv
Da ich einige Sachspenden wie mehrere Akku-Baulampen, Stirnlampen (alles sehr rar und teuer in der Ukraine) und einen Präsentationsbeamer dabei hatte, war ich sehr schwer bepackt. Mein Birdy wurde so zum "Lastenesel". Zum Glück hatte ich ein Zweierabteil gebucht, das ich mir mit einer älteren Ukrainerin teilte, die auf Kurz-Urlaub in Wien war. Es stellte sich heraus, dass ihr (ebenfalls älterer) Mann als Ingenieur in der ukrainischen Armee kämpft. Sie hat mir mehrmals mitgeteilt, wie dankbar sie den Deutschen für deren Hilfe im Krieg ist.
Abfahrt am Wiener Hauptbahnhof |
Die ukrainischen Nachtzüge stammen aus den 70-er Jahren und die Fahrt mit diesen Zügen ist ein "nostalgisches Erlebnis" |
Luxus sieht anders aus, aber die Reise mit der ukrainischen Bahn ist lustig und |
Die Universität und mein Kurs in Präsenzlehre
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Die Ankunft an der Universität
Das von mir aus Deutschland mitgebrachte Weihnachtsgebäck (Lebkuchen, Dominosteine, Spekulatius ...) hat die Teestunde nicht überdauert. Der Empfang an der Universität wurde von einem Luftalarm "begleitet".
So manches an der LPNU lässt einen "schmunzeln" und man fühlt sich in eine andere Zeit veresetzt. Das gilt für vieles in Lviv, was den besonderen Charme dieser Stadt ausmacht. Lviv ist vermutlich so wie Wien vor 50 Jahren, nur in klein halt (und wesentlich günstiger). Â
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Eindrücke aus dem Präsenz-Unterricht
Einen Luftalarm während einer Ãœbung am Samstagnachmittag nahmen die Studenten nach einem kurzen Blick auf das Smartphone ziemlich gelassen hin (siehe Video weiter unten). Der Kurs war in Präsenz mit 9 Teilnehmern zwar nicht goß, aber sehr gut. Ich wünsche Diana, Victoria, Dimitro, Maxim, Mykola, Roman, Vitalii, Ostap (Peter) und Marko alles Gute! Â
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"Sound of Students Party"
Party im Schutzraum der Universität zum "Saint Andrew's Day". Die Studenten brauchen auch mal Spaß und Party, um das Leben für ein paar Stunden unbeschwert genießen zu können. |
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Lviv 29.11.2023 20:30 Uhr |
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In Lviv gibt es derzeit fast tagtäglich Luftalarm. Es lohnt sich gar nicht, diese zu zählen.
Der "übliche Luftalarm": Er unterbricht die Lehrveranstaltungen und erschwert die Ausbildung. Während eines Luftalarms haben die Studenten sich prinzipiell ... |
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Lviv 01.12.2023 11:00 Uhr (Freitag) |
... in den Luftschutzkeller der Universität zu begeben oder aber die Universität weiträumig zu verlassen.
Der "übliche Luftalarm" während einer meiner Vorlesungen im Kurs "International Project Management" an der LPNU. Die Studenten entschieden sich dafür, den Unterricht trotz Luftalarm fortzuführen. |
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Lviv 02.12.2023 12:10 Uhr (Samstag) |
So hört sich der Luftalarm an und so reagieren die Studenten (mittlerweile) darauf.
Ukraine = "Land of the brave"!
Der "übliche Luftalarm" während meines Besuches des Soldatenfriedhofes auf dem Lycakivs'ke Friedhof ("Ukrainischer Kriegsehrenhain") in Lviv. |
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Lviv 03.12.2023 13:04 Uhr (Sonntag) |
Die Video-Aufnahme mit dem Smartphone hat auch die Warnung der Warn-App aufgezeichnet, die jedesmal ertönt, wenn Luftalarm ausgelöst wird. Was man auf diesem Soldatenfriedhof in Lviv an menschlichem Leid sehen kann, ist unfassbar. Eine "Aussöhnung" oder ein "Friedensschluss" mit Russland - welcher Art auch immer - scheint da unvorstellbar. Dieser Krieg wird noch viele Generationen prägen.
Das "Nikolausessen" mit den Kursteilnehmern
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Durch eine von der Mengler-Stiftung initiierte Spendenaktion unter den Studenten des Fachbereiches Architektur an der TU Darmstadt kam eine Spendensumme von 160,- Euro für ein "Nikolausessen" zusammen. Mit dieser Spendensumme habe ich die Kursteilnehmer auf ein "Rippchenessen" einladen können. Da nicht wie geplant ca. 15 Kursteilnehmer an dem Essen teilnahmen, blieb etwas Geld übrig, um mit den verbliebenen Studenten nach dem "Rippchenessen" im Pravda-Pub noch ein Bier zu trinken und unglaublich guter Live-Musik zuzuhören.
Es war für die Studenten nicht nur ein großartiges Erlebnis, sondern bestimmt auch ein unvergessliches Erlebnis, das lange in Erinnerung bleiben wird. So haben die Architektur-Studenten der TU Darmstadt den Studenten an der Lviv Polytechnic National University (LPNU) etwas ganz besonderes geschenkt, denn obwohl die Hälfte der Studenten Lviver sind, kannten keiner der Studenten das "Rippchenessen" noch den "Pravda-Pub" samt Live-Musik. Es war ein sehr schöne Abend. So sieht man, wie ganz kleine Spenden etwas Großes bewirken können. Dank an alle Spender und die Studenten des Fachbereiches Architektur der TU Darmstadt!
"Rippchenessen" im "Arsenal" in Lviv. Das Besteck wird vom Kellner (Iwan) aufgemalt. Gegessen wid mit den Fingern: ein großer Spaß. |
Iwan zerhackt die über offenem |
Die Rippchen haben allen Studenten geschmeckt. |
Zum Abschluss ging es zur für ein |
Was für ein Sound! Was für eine Stimmung! |
Was für ein Sound! Was für eine Stimmung! |
Was für ein Sound! Was für eine Stimmung! |
Der Lieblingssong aller Ukrainer und die "inoffizielle" Nationalhymne. Sehens- und hörenswert. Die Studenten haben mitgesungen! |
Wie heißt es so schön: "Reden hilft"
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Es ist immer wieder interessant die Ansichten der Menschen zu hören und so suche ich den Autausch mit Ukrainern. Sei es nun nach meiner Ankunft mit Prof. Zinovii Blikharskyi (Direktor des Institute of Civil Engineering and Building Systems) oder bei einem kurzen Besuch im Büro von Prof. Bohdan Cherkes (Direktor des Institute of Architecture and Design). Aber auch mit Prof. Khmil wird beim abendlichen Spaziergang durch das verschneite Lviv diskutiert oder mit Jamie dem Kanadier, der an der LPNU ehrenamtlich das Fach "Englisch" unterrichtet. Die Ansichten sind stets ähnlich: Dieser Krieg muss alsbald enden und die Ukraine hat einen Anspruch auf die Herstellung ihrer vollen Souverantität in den Grenzen von vor 2014.
Spaziergang durch Lviv kurz vor der Ausgangssperre (Curfew) um 24 Uhr. |
"Küchengespräch" mit Prof. Khmil und Jamie dem Kanadier |
Eindrücke aus "Lviv im Winter"
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Die Tram - ein wichtiges Verkehrsmittel in Lviv |
Die Tram - ein wichtiges Verkehrsmittel in Lviv |
"Kriegskunst" an einem Haus |
Verschneiter Park in Lviv |
Durch einen Luftangriff zerstörte Autos |
Vergnügungspark in Lviv |
Das verschneite Rathaus |
Zentraler Platz am Rathaus in Lviv |
Skurilles aus Lviv
Wenn Pizzen der Pizzakette "IQ" nach Waffensystemen (Patriot, Himars, Bayraktar, Javelin) benannt werden, "schießt" das Marketing eventuell über das Ziel hinaus. Fehlt nur noch "Pizza Iris-T SLM". "Chornobaivka" (Tschornobajiwka) ist der militärische Flughafen vom internationalen Flughafen in Kherson, den die Ukrainer ein gutes duzend Mal bombadiert haben, bevor die russische Armee einsah, dass er nicht zu halten war. Dazu gibt es sogar ein berühmtes ukrainisches Lied.
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Der mittlerweile aus dem Lycakivs'ke Friedhof ausgelagerte Soldatenfriedhof (auf dem Lycakivs'ke Friedhof ging der Platz für die vielen gefallenen Lviver Soldaten kurz nach Begin des Krieges am 24.02.2022 bereits aus). Bilder zur Vergrößerung bitte anklicken!  Â
Soldatenfriedhof von vorne gesehen |
Gestorben mit 21 Jahren! |
Die bedrückendsten Erlebnisse zu diesem völlig sinnlosen Krieg gibt es auf dem Lycakivs'ke Friedhof bzw. dem "Ukrainischer Kriegsehrenhain" in Lviv zu sehen: Eltern die um ihre Kinder trauern und Witwen, die mit einem Kleinkind vor dem Grab des Mannes bzw. des Vaters stehen. Eine absolut niederschmetternde Erfahrung. Dieser Friedhof macht das große Leiden der Ukrainer greifbar. Am 03.12.2023 stand ich während eines Luftalarms (siehe Video oben) auf diesem Soldatenfriedhof und habe persönlich all diese unfassbaren Szenen im Sirenenlärm erlebt.
Menschen, die behaupten, dass die Ukraine kein souveräner Staat wäre und keine Existenzberechtigung hätte oder aber meinen, dass Putin's Angriffskrieg auf die Ukraine einer "gerechten Sache" dient, empfehle ich, einen Tag auf dem Lviver Soldatenfriedhof zuzubringen. Was hier passiert, ist aus meiner Sicht eine "europäische Schande", weil die deutsche und europäische Politik versagt hat und es zugelassen hat, dass die Ukraine zu einem "Schlachtfeld" eines Konfliktes zwischen Ost und West bzw. verschiedener Systeme (Demokratien vs. "System Putin") wird. Die Leidtragenden sind die Ukrainer, die als Volk seit der "ersten orangenen Revolution" (Nov. 2004) nach mehr Demokratie und mehr Freiheit streben. Die Ukrainer erhalten in diesem Krieg vom Westen zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel, so dass die Ukraine langsam ausblutet. Auf dem Lviver Soldatenfriedhof und im Lviver Stadtbild kann man all dies sehen und erleben. Aber so, wie ich die Ukrainer persönlich in vielen Gesprächen kennengelernt habe, werden sie nicht aufgeben, für ihre Freiheit zu kämpfen. Zum "System Putin" will hier keiner gehören.
Und für alle, die es dann immer noch nicht begriffen haben, empfehle ich einen Blick in die Geschichte: Ein solcher Krieg kennt nur Verlierer. Wer zudem im 21. Jahrhundert Aggressoren gewähren lässt, Staatsgrenzen mit Macht zu verschieben (wie Putin dies tut), der kann das Völkerrecht auch gleich mit auf dem "Lycakivs'ke Friedhof" begraben und sollte sich ernsthaft Gedanken zu folgender Aussage von Albert Einstein machen:
"Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen. Was mich erschreckt, ist nicht die Zerstörungskraft der Bombe, sondern die Explosionskraft des menschlichen Herzens zum Bösen." |
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Bearbeitungsstand dieser Webseite: Dezember 2023